Dieselfahrverbote – eine Chronik voreilig gezogener Schlussfolgerungen

Dieselfahrverbote – eine Chronik voreilig gezogener Schlussfolgerungen

Voreilige Schlüsse zu ziehen und auf diesen zu beharren, ist eine grundlegende Eigenart unseres Gehirns. Niemand ist davor gefeit. Man muss sich das wie eine Art Schutzmechanismus vorstellen, wie einen Filter, der verhindert, dass wir in einer höchst komplexen Welt voller Informationen, verloren gehen.

In der Psychologie spricht man in diesem Kontext auch von Primär- und Halo-Effekten. Es geht hier, vereinfacht gesagt, um besonders starke erste Eindrücke, die eine differenzierte Auseinandersetzung mit einer Sache oder Person nicht mehr zustande kommen lassen. Auch wenn die späteren Eindrücke – die unter Umständen das Gegenteil des Ersteindrucks darstellen – fundierter und logischer sind.

Auch unsere Eitelkeit spielt dabei eine große Rolle. Niemand irrt sich gern und gibt zu, voreilige Schlüsse gezogen zu haben. Auch deswegen neigt der Mensch dazu, seinen Ansichten treu zu bleiben – egal, was die Fakten sagen.

Und im heutigen Informationszeitalter ist die Gefahr, auf oberflächliche Ersteindrücke „hereinzufallen“, besonders groß. Denn eine Flut an Informationen – das Internet wächst zum Beispiel pro Sekunde um 70 Terabyte – evoziert entsprechend auch eine Flut an voreiligen Schlüssen.

Das erleben wir auch gerade bei den vielerorts bereits schon verhängten Dieselfahrverboten – in den Innenstädten und teilweise sogar auf Autobahnen, wie es in Nordrhein-Westfalen auf der A40 geplant ist. Pkw können davon genauso betroffen sein wie Lkw und Lieferfahrzeuge. In Hamburg zum Beispiel – die erste Stadt in Deutschland, in der Dieselfahrverbote verhängt worden sind – dürfen Lastkraftwagen, unterhalb der Euro-Norm 6, nicht auf der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße fahren.

Drama, bitte!

Als Grenzwert gelten 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Außenluft – festgelegt von der Europäischen Union. Stickstoffdioxid (NO2) kostet schließlich viermal so vielen Menschen das Leben wie Verkehrsunfälle. So zumindest das dramatische Ergebnis einer Studie der Europäischen Umweltagentur aus dem Jahr 2017. Und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) rechnete weiter: Jährlich sind das 12.860 „vorzeitige Todesfälle“ in Deutschland – durch Stickstoffdioxid. Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, polemisierte umgehend: „Die erschreckend hohe Anzahl an vorzeitigen Todesfällen durch das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid ist die Folge der kriminellen Praxis der Autohersteller.“

Berechtigte Fragen

Aber wie genau kam man auf diesen hohen Wert von 12.860? Was sind „vorzeitige Todesfälle“? Und was hat das alles überhaupt mit Diesel zu tun?

Ernüchternde Antworten

Dröseln wir das Ganze mal in Ruhe auf … Klären wir erst mal, was „vorzeitige Todesfälle“ sind. Das sind solche, die geschehen, bevor ein Mensch seine prognostizierte Lebenserwartung erreicht hat. Das kann unterschiedlichste Ursachen haben. Eine davon ist Luftverschmutzung.

Die Wissenschaftler arbeiteten aber nicht mit „echten“ Zahlen, sondern mit geschätzten – genauer gesagt mit statistischen Methoden, in denen die Wahrscheinlichkeit dafür berechnet wurde, dass ein vorzeitiger Todesfall auf Stickstoffdioxid zurückzuführen ist.

Die Grundlage hierfür war wiederum die (erneut geschätzte) Auffassung, dass Gesundheitsschäden durch Stickstoffdioxid bereits ab 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Außenluft auftreten. Man erstellte „spaßeshalber“ sogar eine zweite Berechnung – mit einem Grenzwert von 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Außenluft. Mit dem Ergebnis: 44.960 Tote durch NO2 pro Jahr.

Merkwürdig, an Arbeitsplätzen darf der NO2-Wert 24-mal so hoch sein …

Wie man sieht, ist das alles ganz schön fragwürdig. Und dazu noch der griffige Vorwurf Jürgen Reschs, das allein Dieselfahrzeuge dafür verantwortlich seien. Dass die Energie- und Landwirtschaft sowie Privathaushalte im Allgemeinen weitaus mehr NO2 emittieren, spielte einfach mal keine Rolle. Auch nicht, dass Stickstoffdioxid auf gesunde Personen nahezu keine Auswirkung hat, wie die moderne Medizin bestätigt. Auch deswegen gilt an Arbeitsplätzen der Industrie und im Handwerk ein vergleichsweise viel höherer Grenzwert: 950 Mikrogramm pro Kubikmeter. Das kritisierte prompt auch Matthias Klingner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme. Gegenüber der Zeit sagte Klingner: „Wenn ich den Grenzwert in Arbeitsstätten betrachte, kann ich nur zu dem Ergebnis kommen, dass die Stickstoffdioxidbelastung in der Außenluft mit Sicherheit nicht gesundheitsschädlich ist.“

Dieselfahrverbote, Dieselfahrverbote, Dieselfahrverbote …

Aber es war alles zu spät. Die Politik zog aus den alarmierende Ergebnissen der Europäischen Umweltagentur, flankiert von Deutschen Umwelthilfe, ihre voreiligen Schlüsse – und entschied sich für den bekannten Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Außenluft.

Der ist zwar doppelt so hoch, wie es sich Umweltorganisationen wünschen, aber immer noch hoch genug, um Dieselfahrverbote auszusprechen.

So folgte Verbotszone auf Verbotszone – mittlerweile sind insgesamt sieben Bundesländer beziehungsweise Stadtstaaten in Deutschland von Dieselfahrverboten betroffen.

Hinzukommende Kritik, dass Fahrverbote das Problem – sofern es überhaupt eines gibt – nur verlagern, die NO2-Belastung dann in anderen Straßen, auf die eben ausgewichen wird, ansteigen würde, verpuffte.

Keine Wirkung

Der erste Ort in Deutschland mit entsprechenden Verbotszonen war, wie gesagt, Hamburg. Und rund ein Jahr nach der Einführung nun die Erkenntnis: Die Grenzwerte zeigen keine Wirkung. Mal abgesehen von überfüllten Ausweichstraßen.

Der Arzt, der sich grob verrechnete – und doch irgendwie Recht hatte

In der Zwischenzeit – Mitte Februar dieses Jahres – meldete sich dann auch noch ein renommierter Lungenarzt, Dieter Köhler, zu Wort. Mit der Unterstützung von 112 weiteren Fachmedizinern zweifelte er eine Gesundheitsgefahr durch Stickstoffdioxid ganz generell an. Köhler forderte daher eine Neubewertung der wissenschaftlichen Studien durch unabhängige Forscher. Ein durchaus vernünftiger Vorschlag – wäre nur nicht der Umstand, dass sich Köhler bei seinen Auswertungen grob verrechnet hatte. Mehrfach …

Allerdings: Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm den „Ball“ Köhlers dennoch auf und bat Forscher der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle, die Frage, ob die geltenden Schadstoffgrenzwerte zu streng seien, unabhängig zu prüfen.

Die Stellungnahme unabhängiger Forscher

Und in der jüngst veröffentlichen Stellungnahme heißt es nun, dass Fahrverbote nicht geeignet seien, die Schadstoffbelastung in der Luft adäquat zu senken. Vielmehr empfahlen die Wissenschaftler eine nachhaltige, nicht nur auf den Verkehr bezogene Strategie zur Luftreinhaltung – und kritisierten zudem, dass der Schwerpunkt zu sehr auf NO2 liege und nicht auf dem bedeutend schädlicheren Feinstaub.

Debatte nicht zielführend

Wie die Forscher aus Halle erklärten, können Stickstoffoxide zwar die Symptome von Lungenerkrankungen wie Asthma verschlimmern, der Grenzwert dafür sei aber zu streng. Gerade im Vergleich mit dem vergleichsweise weniger resoluten Grenzwert für Feinstaub. Die derzeitige Debatte sei daher nicht zielführend.

Forscher empfehlen keinen Austausch der Dieselflotte

In der Stellungnahme empfahlen die Forscher Logistikunternehmen daher, keinen kompletten Austausch der Dieselflotte vorzunehmen. Das sei auch aus Klimaschutzgründen am wenigsten anzuraten. Ganz im Gegensatz zu Software-Updates und Hardware-Nachrüstungen von älteren Dieselfahrzeugen.

Erhöhung auf 50 Mikrogramm NO2 ?

Denkbar auch, dass – wie unter anderem die Augsburger Zeitung vermeldete – der Grenzwert für Deutschland zeitnah wieder angehoben werde. Auf 50 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Außenluft. Die Europäische Kommission dementierte entsprechende Medienberichte allerdings umgehend. Am Grenzwert werde nicht gerüttelt.

Die Hoffnung liegt auf einem High-Tech-Asphalt

Schließlich ist es sogar im Bereich des Möglichen, dass derartige Grenzwerte bald komplett abgeschafft werden. Zumindest auf Stickstoffdioxid bezogen. Warum, zeigt ein Blick nach Stuttgart. Hier werden derzeit betroffene Zonen mit einem High-Tech-Asphalt erneuert. Etwa ein Bereich zwischen der Willy-Brandt-Straße und der Cannstatter Straße. Dieser Asphalt enthält Titandioxid, das NO2 abbauen respektive in unschädliche Stoffe umwandeln soll.

Aber auch hier gilt: Erst mal die Resultate abwarten – und bitte keine voreiligen Schlüsse ziehen …

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